Der Fall: Aufenthaltstitel wegen fehlendem Einkommen abgelehnt
Die Klägerin, eine serbische Staatsangehörige, lebt seit mehreren Jahren in Deutschland – zunächst mit einer Duldung, ab 2022 mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG (“Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration”). Aufgrund einer chronischen Erkrankung gilt sie als dauerhaft erwerbsunfähig.
Als die Klägerin ihren Aufenthaltstitel verlängern wollte, lehnte die Ausländerbehörde den Antrag ab. Zwar bestätigte sie, dass die Frau krankheitsbedingt nicht arbeiten kann. Dennoch argumentierte die Behörde, die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts sei nicht ausschließlich auf die Krankheit zurückzuführen.
Selbst wenn die Frau gesund wäre, hätte sie nach Einschätzung der Behörde kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Als Gründe nannte das Amt das fortgeschrittene Alter der Klägerin, fehlende berufliche Qualifikationen und eingeschränkte Sprachkenntnisse.
Die Behörde vertrat die Auffassung, eine Ausnahme könne nur gemacht werden, wenn allein die Krankheit der Grund für die Arbeitsunfähigkeit sei. Da hier mehrere Faktoren eine Rolle spielten, sah sie keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Die Frau klagte dagegen. Das Verwaltungsgericht bestätigte zunächst die Entscheidung der Behörde. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) kam jedoch zu einem anderen Ergebnis und verpflichtete die Behörde, die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Daraufhin legte die Behörde Revision ein – und der Fall ging vor das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).
Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG
Nach § 25b Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) können Personen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben und nachhaltig integriert sind, eine Aufenthaltstitel erhalten – auch wenn sie ursprünglich aus humanitären Gründen (z.B. mit einer Duldung) nach Deutschland gekommen sind.
Zu den Voraussetzungen für § 25b AufenthG gehören unter anderem:
- Dauerhafter Aufenthalt in Deutschland
In der Regel mindestens sechs Jahre ununterbrochen und rechtmäßig (bzw. vier Jahre bei Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern). Zeiten mit einer Duldung, Aufenthaltsgestattung oder Aufenthaltserlaubnis können angerechnet werden. - Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
Eine Erklärung, dass die Person die deutsche Verfassungsordnung achtet, ist für § 25b AufenthG erforderlich. - Sicherung des Lebensunterhalts
Der Lebensunterhalt muss überwiegend eigenständig gesichert sein, also im Wesentlichen durch Arbeit, nicht durch Sozialleistungen. Davon kann abgesehen werden, z. B. bei Krankheit, Behinderung, Pflege von Angehörigen oder bei der Betreuung minderjähriger Kinder. - Nachhaltige Integration
Nachweis, dass die Person in das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben in Deutschland eingebunden ist – z. B. durch den „Leben in Deutschland“-Test, Sprachkenntnisse (mindestens Niveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens), Arbeit, Schulbesuch der Kinder oder soziales Engagement. - Keine erheblichen Straftaten
In der Regel darf keine strafrechtliche Verurteilung vorliegen, die über geringfügige Delikte hinausgeht. - Identitätsklärung
Die Identität und Staatsangehörigkeit müssen grundsätzlich geklärt sein; entsprechende Dokumente sind vorzulegen oder glaubhaft zu machen, dass eine Beschaffung unmöglich ist. - Kein Ausweisungsinteresse
Es dürfen keine schwerwiegenden Ausweisungsgründe bestehen (z. B. Sicherheitsbedrohung, extremistisches Verhalten). - Schulbesuch bzw. Ausbildung der Kinder
Bei Familien mit Kindern wird auch geprüft, ob die Kinder regelmäßig die Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren.
Aufenthaltstitel bei Krankheit auch ohne gesicherten Lebensunterhalt
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gab der Revision der Ausländerbehörde zwar formal recht, stellte aber inhaltlich wichtige Grundsätze klar, die künftig auch für viele ähnliche Fälle gelten.
Nach Ansicht des Gerichts darf bei der Frage, ob jemand seinen Lebensunterhalt “überwiegend selbst” sichern kann, keine Gesamtbewertung verschiedener Faktoren vorgenommen werden. Entscheidend ist, ob eine Krankheit, Behinderung oder das Alter der Hauptgrund dafür ist, dass eine Person nicht arbeiten kann. Das gilt auch dann, wenn daneben noch andere Gründe vorherrschen – etwa geringe Qualifikation oder schlechte Arbeitsmarktchancen .
Das bedeutet: Die gesundheitliche Einschränkung muss nicht der alleinige, aber der entscheidende Grund für die Arbeitsunfähigkeit sein.
Zur Begründung verwies das Gericht auf den Wortlaut des Gesetzes: § 25b Abs. 3 AufenthG soll Menschen schützen, die unverschuldet nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt zu sichern. Das entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung zu vergleichbaren Vorschriften im Staatsangehörigkeitsgesetz (§ 10 Abs. 6 Satz 1 StAG) und im Aufenthaltsgesetz (§ 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG).
Damit stärkt das Urteil die Rechte von Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können. Sie haben Anspruch darauf, dass ihr Aufenthaltsrecht fair und im Einzelfall geprüft wird.
Ein zentraler Aspekt der Einbürgerung in Deutschland ist die Sicherung Ihres Lebensunterhalts. Dies bedeutet, dass Sie in der Lage sein müssen, für sich und Ihre Familie ohne staatliche Unterstützung zu sorgen, außer es handelt sich um bestimmte unproblematische Sozialleistungen....
Fall noch nicht abgeschlossen
Trotz dieser Klarstellung verwies das BVerwG den Fall an das Oberverwaltungsgericht (OVG) zurück. Der Grund: Das OVG war davon ausgegangen, dass die Ausländerbehörde an frühere Einschätzungen zur Integration der Klägerin gebunden ist – etwa, dass sie bereits ausreichende Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung besitzt (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG).
Das BVerwG stellte jedoch klar, dass diese Voraussetzungen nicht automatisch weitergelten. Bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis muss die Behörde neu prüfen, ob die Integrationsvoraussetzungen weiterhin erfüllt sind – also ob die Person noch ausreichend Deutsch spricht, am gesellschaftlichen Leben teilnimmt und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt.
Bevor also über den Fall der Klägerin endgültig entschieden werden kann, muss das OVG nun prüfen, ob sie alle Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erfüllt.
Wir erklären, wann und wie Sie die unbefristete Aufenthaltserlaubnis beantragen können. Denn ein unbefristeter Aufenthaltstitel berechtigt nicht nur zum dauerhaften Verbleib in Deutschland, sondern bringt auch viele andere Vorteile für Sie und Ihre Familie mit sich. Inhaltsangabe Unbefristete...
Bedeutung des Urteils für Migrant:innen
Das Urteil schafft Rechtssicherheit für Menschen, die aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen nicht arbeiten können und deren Aufenthaltstitel an die Sicherung des Lebensunterhalts geknüpft ist.
Behörden dürfen künftig keine Gesamtbewertung mehr vornehmen, warum jemand aus mehreren/verschiedenen Gründen keine Arbeit findet. Entscheidend ist nur, ob eine Krankheit oder Behinderung die wesentliche Ursache ist.
Für Betroffene bedeutet das:
- Eine Krankheit, Behinderung oder Alter kann ausreichen, um eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu erhalten, auch wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist.
- Weitere Gründe – etwa eingeschränkte Sprachkenntnisse oder fehlende Qualifikation – dürfen die Entscheidung nicht negativ beeinflussen, solange die gesundheitlichen Einschränkungen ausschlaggebend sind.
- Alle anderen gesetzlichen Voraussetzungen – etwa ausreichende Deutschkenntnisse, Integration und Mindestaufenthaltsdauer – müssen weiterhin erfüllt werden.
Das Urteil betont damit die soziale Schutzfunktion des Aufenthaltsrechts: Wer aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht arbeiten kann, soll nicht benachteiligt werden – sondern eine faire, einzelfallbezogene Chance auf einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland haben.