Offener Brief an Deutschen Innen- und Außenminister
Anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte (10. Dezember) haben über 250 Organisationen einen offenen Brief an die Bundesregierung veröffentlicht. Das Schreiben richtet sich vor allem an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Außenminister Johann Wadephul (CDU).
Darin fordern sie die Bundesregierung auf, „alles in Ihrer Macht Stehende“ zu tun, um die Einreise von Afghan:innen mit gültiger Aufnahmezusage noch vor Ablauf des Jahres zu ermöglichen.
Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem Pro Asyl, der AWO Bundesverband, der Paritätische Gesamtverband, Brot für die Welt, Amnesty International Deutschland, Human Rights Watch sowie die Initiative Kabul Luftbrücke. Sie warnen zudem vor den Folgen weiterer Verzögerungen.
Pakistan verlangt Ausreise nach Afghanistan
Auslöser des Appells ist eine von der pakistanischen Regierung gesetzte Frist bis Ende Dezember 2025. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige mit deutscher Aufnahmezusage Pakistan verlassen und in andere Staaten ausreisen. Andernfalls droht ihnen die Abschiebung nach Afghanistan.
Nach unterschiedlichen Schätzungen halten sich derzeit zwischen 1.300 und 1.800 Afghan:innen mit deutscher Aufnahmezusage in Pakistan auf. Über 70 Prozent von ihnen sollen Frauen und Kinder sein. Viele warten seit Monaten unter unsicheren Bedingungen und ohne verlässlichen Aufenthaltsstatus auf ihre Ausreise nach Deutschland.
Ein Teil der Betroffenen wurde bereits im Spätsommer zurück nach Afghanistan abgeschoben. Einige andere erhielten inzwischen Visa zur Einreise nach Deutschland.
Hintergrund: Was sind Aufnahmeprogramme?
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hatte Deutschland mehrere humanitäre Aufnahmeprogramme gestartet. Ziel war es, Afghaninnen und Afghanen, die aufgrund ihrer früheren Zusammenarbeit mit deutschen Organisationen unter der neuen Regierung als besonders gefährdet galten, eine dauerhafte Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen.
Zu den wichtigsten Programmen zählt das Bundesaufnahmeprogramm nach § 23 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz sowie verschiedene Verfahren nach § 22 Aufenthaltsgesetz, etwa für ehemalige Ortskräfte oder Personen aus der sogenannten Menschenrechtsliste.
Nach dem Regierungswechsel in Berlin im Mai 2025 wurden die Aufnahmeprogramme jedoch deutlich eingeschränkt. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist vereinbart, freiwillige Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ zu beenden. Insbesondere die Union äußerte wiederholt Sicherheitsbedenken und stellte die Fortführung einzelner Programme infrage.
Anfang Mai setzte die Bundesregierung die Aufnahmeprogramme ganz aus. Seitdem liegt der Fokus der Behörden ausschließlich auf Personen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben oder sich noch in laufenden Visavergabeverfahren befinden.
Da die Bearbeitung dieser Verfahren zuletzt jedoch nur sehr schleppend voranging, entschieden sich mehrere Betroffene dazu, rechtlich gegen die Verzögerungen vorzugehen. In mehreren Fällen befassten sich deutsche Gerichte mit den ausstehenden Verfahren und verpflichteten die Bundesregierung zu einer Entscheidung.
In der Folge kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Einreisen von Afghaninnen und Afghanen aus den bestehenden Aufnahmeprogrammen nach Deutschland
Wer sind die Betroffenen?
Bei den Personen handelt es sich um Menschen aus verschiedenen deutschen Aufnahmeprogrammen. Dazu gehören ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Mitarbeitende internationaler und deutscher Hilfsorganisationen, Journalist:innen, Richter:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Kulturschaffende sowie Angehörige der LGBTQ-Community.
Viele von ihnen sollen sich über Jahre hinweg für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Menschenrechte in Afghanistan eingesetzt haben – häufig in enger Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen oder mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland. Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 waren sie nach Pakistan geflohen, weil dort die deutschen Aufnahmeverfahren abgewickelt werden.
Forderungen an die Bundesregierung
Die Unterzeichner des offenen Briefes warnen eindringlich vor den Konsequenzen einer Abschiebung nach Afghanistan. Unter der Taliban-Regierung drohten den Betroffenen Verfolgung, willkürliche Inhaftierung, Misshandlungen oder sogar der Tod.
Besonders gefährdet seien Frauen, ehemalige Staatsbedienstete, Journalist:innen und Personen, die sich öffentlich für Menschenrechte eingesetzt haben.
Deutschland habe diesen Menschen mit den Aufnahmezusagen ein Schutzversprechen gegeben, so die Organisationen. Dieses Versprechen dürfe nicht gebrochen werden.
Konkret fordern die Organisationen:
- Schnelle Ausreise ermöglichen: Alle Personen mit Aufnahmezusage sollen noch vor Jahresende unbürokratisch ausreisen können.
- Verfahren abschließen: Sicherheitsüberprüfungen und Visaverfahren sollen ohne weitere Verzögerungen für alle Aufnahmeprogramme abgeschlossen werden.
- Schutz vor Abschiebungen nach Afghanistan: Die Bundesregierung soll gegenüber Pakistan alle verfügbaren Mittel einsetzen, um Abschiebungen nach Afghanistan zu verhindern und eine sichere Unterbringung bis zum Abschluss der Verfahren zu gewährleisten.
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„Kabuler Appell“: Prominente kritisieren Verzögerungen
Zusätzlichen Druck auf die Bundesregierung übt der sogenannte „Kabuler Appell“ aus. In einem weiteren offenen Brief kritisieren prominente Persönlichkeiten die aus ihrer Sicht verzögerte Einreise von Afghan:innen mit Aufnahmezusagen der früheren Bundesregierung.
Zu den Unterzeichnern zählen zahlreiche Prominente aus der deutschen Medienlandschaft, unter anderem „ZDF Magazin Royale“-Moderator Jan Böhmermann, die Schauspielerinnen Iris Berben und Collien Fernandes, der Investigativjournalist Günter Wallraff sowie der Schriftsteller Navid Kermani.
Zudem hatten sich bereits im Herbst rund 600 Afghan:innen in einem Schreiben an die Bundesregierung gewandt. Darin erklärten sie, sie seien nicht vor Armut, sondern vor „Gewalt und Tod“ geflohen. Besonders scharf kritisierten sie ein Angebot des Bundesinnenministeriums, im Gegenzug für mehrere Tausend Euro auf den zugesagten Schutz zu verzichten.
Bundesregierung zieht Zusagen für 640 Personen zurück
In der vergangenen Woche kündigte das Bundesinnenministerium an, dass rund 640 afghanische Staatsangehörige trotz zuvor erteilter Aufnahmezusagen nicht nach Deutschland reisen dürfen. Betroffen sollen Personen sein, die ihre Zusage im Rahmen des Überbrückungsprogramms oder über die Menschenrechtsliste erhalten haben.
Nach Angaben des Innenministeriums sollen diese Menschen in den kommenden Tagen offiziell darüber informiert werden, dass „kein politisches Interesse“ mehr an ihrer Aufnahme bestehe. Eine Einreise nach Deutschland sei in diesen Fällen daher nicht mehr vorgesehen.
Die Regierung begründet dies mit einer Neubewertung der rechtlichen Verbindlichkeit einzelner Programme. Zusagen aus dem Bundesaufnahmeprogramm nach § 23 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz wurden von Gerichten mehrfach als rechtlich verbindlich angesehen und sollen deshalb weiterhin umgesetzt werden. Zusagen aus anderen Programmen stuft die Bundesregierung dagegen anders ein. Sie wertet diese eher als politische Zusagen, die aus ihrer Sicht wieder zurückgenommen werden können.
